Donnerstag, 2. September 2010

Das kann ich gut verstehen,

Das kann ich gut verstehen,

Ein Satz, der nur allzu schnell und allzu oft Verständnis und Einfühlsamkeit ausdrücken soll. Aber, tut er das wirklich? Wohl nur in den allerseltensten Fällen ist er, wenigstens im Ansatz, versuchsweise ernst gemeint.
Da sitzt er zum Beispiel am Tisch und liest die Zeitung, seine Frau kommt herein: " Mein Gott mir tun heute alle Knochen weh, ich fühle mich wie durch den Wolf gedreht. " Und er antwortet aus den Tiefen seiner Zeitung heraus: "Das kann ich gut verstehen! Ist das ernst gemeint? Nein. Er heuchelt Anteilnahme und Verständnis eigentlich nur, um Ruhe zu haben. Wie oft klagt seine Frau über ihre Rückenschmerzen und er behauptet dann immer wieder, das könne er gut verstehen. Er selbst hat noch nie Rückenschmerzen gehabt, aber zur Beruhigung seiner Frau schießt er diese Floskel ab und sie ist meistens schon zufrieden, dass er überhaupt hingehört hat.
Und da kommen wir zu des Pudels Kern. Kann er überhaupt verstehen, was es heißt Rückenschmerzen zu haben. Nein, aber warum sagt er das dann, er könne es gut verstehen? Er will in Ruhe gelassen werden. Und so geht es oft im Leben. Wir geraten in innere Verlegenheit, wenn wir Menschen begegnen, die uns ihr Leid klagen über ihr Schicksal, ihre Schmerzen und Beschwerden und ihr Herz ausschütten. Und in unserer Hilflosigkeit reagieren wird dann mit Plattitüden.
Das alte chinesische Sprichwort beinhaltet eine tiefe Wahrheit: Du kannst deinen Mitmenschen erst verstehen, wenn Du einige Meilen in seinen Schuhen gegangen bist. Aber was sollen wir in solchen Fällen überhaupt tun? Wäre es nicht ehrlicher, wenn er sagen würde: "Es tut mir leid ich habe noch nie Rückenschmerzen gehabt und ich kann mir leider nicht vorstellen, wie sich das anfühlt. "
Ich denke, wir zeigen mehr Verständnis, wenn wir solche inhaltslosen Äußerungen unterlassen und da, wo wir in der Lage sind unaufgefordert mit wachen Augen helfen. Wäre es nicht tröstender und liebevoller in meinem Beispiel, wenn er seine Zeitung zusammenfalten würde, aufstehen würde, und seine Frau in den Arm nehmen würde?
Wenn wir ehrlich sind, ist es fast immer unmöglich, die Situation eines anderen Menschen nach zu empfinden und zu verstehen. Wir können vielleicht analoge Verhältnisse zurate ziehen in denen wir dies oder das empfunden oder gefühlt haben oder erlebt haben, aber dennoch waren es dann unsere Gefühle und unsere Erlebnisse und es ist schwer für uns festzustellen, ob wir sie genauso empfunden und gefühlt haben, wie unser Mitmensch. Leider oder glücklicherweise gibt es noch keine Messinstrumente, die mit absoluter Objektivität Schmerz und Leid messen können.
Mein Vorschlag: Wenn wir nicht aus tiefster, Inneren Überzeugung behaupten können: "Das kann ich gut verstehen," sollten wir es unterlassen..... Und das könnte ich dann wirklich gut verstehen!